Offener Brief von MIGRANET M-V an Innenminister Lorenz Caffier

Ministerium für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern
Herrn Innenminister
Lorenz Caffier
19048 Schwerin
Sehr geehrter Herr Caffier,
wie schlimm soll es noch werden, bis Sie die Erstaufnahmeeinrichtungen (EAE) und Gemeinschaftsunterkünfte für Geflüchtete in MV entzerren?
Die Corona-Pandemie stellt unsere Gesellschaft vor existenzielle Herausforderungen. Es ist nun seit Wochen so, dass alleinerziehende Mütter im Homeoffice doppelt belastet sind, weil sie ihre Arbeit von Zuhause aus machen und gleichzeitig ihre Kinder betreuen müssen. Viele Menschen haben Angst, auf Dauer ihre Arbeit zu verlieren. Die Kleinunternehmer*innen und Selbstständigen sowie Bäuerinnen und Bauern haben zurecht existenzielle Ängste. Zum Glück geht unsere Regierung geeignete Schritte, so dass der ökonomische Schaden der Pandemie für viele Betroffene wohl dadurch minimiert werden kann. Wir begrüßen diese wirtschaftlichen auch gesellschaftlichen Maßnahmen und Regeln ausdrücklich – seien es die finanzielle Unterstützung der Unternehmen, Kurzarbeitergeld, die Einschränkung des öffentlichen Lebens oder Abstandsregeln usw. All diese Maßnahmen sind für den Schutz der Bürger*innen elementar. Dies ist uns bewusst und wir versuchen die Informationen darüber in möglichst allen relevanten Sprachen in den migrantischen Communities zu verbreiten. Und wir bedanken uns bei den Bürger*innen, die in dieser schweren Zeit im Gesundheitsbereich, in den Pflegeeinrichtungen, in der Lebensmittelproduktion und -verkauf arbeiten!
Wir beobachten aber auch mit großer Sorge den Umgang mit Geflüchteten, die in den Gemeinschaftsunterkünften in MV leben, sowie die Debatte um die Erstaufnahmeeinrichtungen. Wir finden es sehr befremdlich, dass man sich gerade jetzt auf einmal daran erinnert, dass Flüchtlinge als billige Arbeitskraftreserven in der Landwirtschaft eingesetzt werden können, weil erfahrene einheimische Arbeitskräfte für diesen Niedriglohnbereich kaum zur Verfügung stehen: Wir wünschen uns generell einen uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylsuchende! Wir haben als MIGRANET-MV nicht nur die dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen gefordert, sondern uns auch für die Einführung von Gesundheitskarten für Geflüchtete stark gemacht und mehrmals an die zuständigen Behörden geschrieben – die heutige Corona-Pandemie zeigt uns leider zu recht, dass unsere Aufforderungen richtig waren und immer noch sind. Wir wünschen uns die Gesundheitskarte für die Asylsuchenden von Anfang an statt Behandlungsscheine!
Herr Caffier, es ist Zeit zu handeln. Die Lage in den Erstaufnahmeeinrichtungen in Schwerin Stern Buchholz und Nostorf/Horst bei Boizenburg verschlechtert sich von Tag zu Tag. Die Infrastruktur sowie die Unterbringungsmöglichkeiten sind per se nicht geeignet, die aktuell vorgeschriebenen und dringend gebotenen Kontaktregeln einzuhalten und den Gesundheitsschutz umzusetzen. Für die Geflüchteten in beiden EAE´s und die meisten Gemeinschaftsunterkünfte in den Kommunen kann kein sicherer Abstand gewährleistet werden und Hygieneschutzmaßnahmen können nicht umgesetzt werden. Eine Reduzierung der Anzahl der Bewohnenden ist daher keine richtige Maßnahme für die Schutz der Asylsuchenden und Mitarbeiter*innen, da die Vorschriften auch dann nicht eingehalten werden können: Mehrere Personen nutzen weiterhin die gleichen Sanitäranlagen und Flure, mehrere Personen (die nicht familiär verbunden sind) müssen sich immer noch ein Zimmer teilen. Die jetzigen Umstände entmündigen die Flüchtlinge, selbstbestimmt den eigenen Schutz zu gewährleisten und gefährden weiterhin das Leben der dort wohnenden und arbeitenden Personen. Das zeigt auch die Zahl auf Sars-CoV-2 positiv getesteten sowie infizierten Personen. Auf Angebote des Deutschen-Jugendherbergs-Landesverbandes MV sowie der Kirchen im Land, die leerstehenden Jugendherbergen und Gästehäuser für die Unterbringung der Geflüchteten aus den EAE´s und Gemeinschaftsunterkünften zur Verfügung zu stellen, wurde bisher nicht eingegangen. Wir fordern dringend, diese Angebote zu nutzen, um nicht zuletzt gefährdete und vorerkrankte Personen zu schützen.
Wir bedanken uns an bei allen Mitarbeiter*innen in den EAE`s und in Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete in den Kommunen sowie in den Obdachlosenheimen! Diese bekommen nach wie vor keine obligatorische Schutzausrüstung oder Desinfektionsmittel zur Ausübung ihrer Tätigkeit zur Verfügung gestellt und sind trotzdem täglich für die Menschen in den Einrichtungen da.
Wir schließen uns ausdrücklich den Forderungen der Integrationsbeauftragten der zehn Bundesländer von 27.03.2020 – die auch von der Integrationsbeauftragen des Landes MV, Frau Alabali-Radovan, unterzeichnet wurde – an und bitten Sie, diese Forderungen schnellstmöglich umsetzen.
Mit freundlichen Grüßen
Imam-Jonas Dogesch
Sprecher MIGRANET-MV
Dr. Rubén Cárdenas Carbajal
Geschäftsführung MIGRANET-MV